Ego-Shooter

Was ist Erwachen?

Zuerst einmal vorweg:
Alles was du über Spiritualität oder Erwachen zu wissen glaubst, ist definitiv nicht Erwachen.
Alles Wissen, das du über das Erwachen angesammelt hast, hat dich ganz offensichtlich nicht zum Erwachen geführt.
Alles was du über das Erwachen weißt ist unwahr.
Alles was du über die Welt weißt ist unwahr.
All dein Wissen ist wertlos.

In der Systemtheorie ist es eine anerkannte Tatsache, dass wir 95 % unseres Weltwissens aus den Massenmedien erworben haben.
95 % dessen, was wir über die Welt zu wissen glauben, stammt aus den Händen von Leuten, die professionell Meinungen anderer manipulieren.
Und du kannst davon ausgehen, dass sie dies mit einer Motivation dahinter machen.

Ich habe eine Zeitlang in Poona im Presse-Office der Osho-Commune gearbeitet und geholfen, Journalisten und Reporter, die im Ashram ankamen um darüber zu schreiben, zu betreuen.
Diese kamen aus allen möglichen Ländern, waren die unterschiedlichsten Typen Menschen. Aber in einen waren sie alle gleich: keiner von denen hat sich auch nur im Geringsten für Spiritualität oder Aufwachen interessiert.
Es war ihnen völlig gleichgültig, ob sie über ein Cricket-Match, ein Business Meeting oder über Osho und Erleuchtung schreiben.
Und genau von dieser Qualität war auch alles, worüber sie schrieben. Seitenweise Texte voller Vorurteile und zusammengesponnenem Unfug, deren einzige relevante Erkenntnis war, dass sie absolut nichts von dem verstehen worüber sie schreiben. Sie interessieren sich nicht einmal dafür. Ihr einziges Interesse bestand darin, ihr vorgefertigtes Weltbild zu verbreiten um sich selber darin zu bestätigen.
Von diesen Leuten hast du 95 % deines Weltwissens erhalten.
Und selbst die restlichen 5 %, die auf deinen eigenen authentischen Erfahrungen mit der Welt beruhen, werden aus dem Kontext dieser 95% interpretiert.

Sehr oft habe ich in meiner Praxis mit Menschen zu tun, die eine fundierte spirituelle Öffnung erfahren haben und diese weder verstehen noch einordnen konnten, weil diese Erfahrung gar nicht zu dem passte, was sie über die Welt zu wissen glauben.
Wenn du dich nicht bereits einen Schritt weit aus der Verwirrung, dem Dschungel von Samsara, herausbewegt und dein angesammeltes Fremdwissen hinterfragt hast, verpufft diese spirituelle Erfahrung, dieses kurzes Aufblitzen der Wahrheit, meist völlig ungenutzt.
Nur wenn du begriffen hast, dass du dich im Leben verlaufen hast, die Orientierung verloren hast und in totaler Dunkelheit herum irrst, kannst du die Blitze des fernen Gewitters am Horizont nutzen, um für einen kurzen Moment den Weg vor dir aufleuchten zu sehen.

Wenn du aber glaubst, bereits angekommen zu sein, dann wirst du diese Blitze am Horizont wahrscheinlich nicht einmal wahrnehmen. Wenn du der Meinung bist, alles mit dir sei in Ordnung, weil du es geschafft hast, dich perfekt an die dich umgebende Gesellschaft anzupassen und du so ein Pseudogefühl von Harmonie und Angekommen sein erfährst, wenn du also glaubst, es würde ausreichen, Teil des Mob-Minds, des Schwarmbewusstseins zu werden, wirst du vielleicht niemals ein Interesse daran entwickeln, herauszufinden wer du wirklich bist.

Nur ganz wenige haben das Glück, direkt vom Blitz getroffen zu werden und aus ihrer Trance herausgerissen zu werden.
Wahrscheinlich gehörst du aber nicht zu diesen Glücklichen und wirst dich daher selber auf den Weg machen müssen.
Der erste Schritt auf diesem Weg ist es, dir einzugestehen, dass du absolut keine Ahnung hast, was der Sinn des Lebens ist und warum du hier bist. Du hast nicht einmal eine Ahnung davon, wer du wirklich bist.

Ist das nicht skurril?
Du bist – ganz offensichtlich bist du – hast aber keine Ahnung wer du bist.
Und wenn du nicht einmal diese elementarste Grundvoraussetzung allen Wissens verstanden hast, ist alles weitere Wissen wertlos. Es fußt auf Nichts, hat keine Basis und ist in seinem Kern hohl und wertlos.
Alles was du zu wissen glaubst, fußt auf dem elementaren Unwissen deiner Selbstvergessenheit. Du glaubst zu wissen und kennst nicht einmal den Wissenden. Daher ist alles was du weißt wertlos.
Erst wenn du den Mut hast, dich dieser Tatsache zu stellen, deiner Unkenntnis ins Gesicht zu schauen und dir einzugestehen, dass du absolut keine Ahnung hast wer du bist, erwacht deine Spiritualität.
Das ist der erste Schritt ins Erwachen.
Hier beginnt dein spiritueller Weg zurück zu dir.
Alles andere ist nur hohles Gerede, mentale Spielchen ohne jede Relevanz.

Wenn du diesen ersten Schritt machst, hast du bereits die halbe Reise geschafft, hast du bereits die Hälfte des Weges hinter dir. Doch diesen ersten Schritt zu machen ist das Allerschwierigste auf dem ganzen Weg.
Es reißt dir den Boden unter den Füßen weg.
Es macht dir deutlich, dass du in all den Jahrzehnten deines bisherigen Lebens nichts von Bedeutung erreicht hast und dass du, wenn du dies nicht änderst, eines Tages sterben wirst ohne je begriffen zu haben, warum du überhaupt gelebt hast.
Du hast dein Leben vergeudet.
Du hast den Brief deines Lebens ungeöffnet zurückgeschickt.
Was für eine unglaubliche Tragödie.

Und all das Zeugs, das du im Laufe deines Lebens angesammelt hast in der Hoffnung, es könnte dich beschützen und dir Halt im Leben geben – all der Ruhm, Anerkennung, Erfolg, Geld, Partner oder Häuser, werden dir nicht helfen. Es ist alles nur wertloser Kram.

Die Geschichte ist voll von großen Führern, mächtigen Männern, die Weltreiche beherrschten und im Moment ihres Todes hilflos, ängstlich und wimmernd auf Knien um Gnade flehten.
Sie erkannten, dass sie nichts in ihrem Leben erreicht hatten.
Sie haben ihr ganzes Leben damit vergeudet, nach Dingen zu greifen und standen am Ende doch mit leeren Händen da.
Erst wenn du anerkennst, dass du nichts weißt, bist du wirklich auf dem Weg.
Vorher hast du dich nur im Kreise gedreht, dir Helden- oder Opfergeschichten über dich selber erzählt und doch immer geahnt, dass nichts dahinter ist.
Wenn du alles Wissen hinterfragst, das du von Menschen erhalten hast, die ebenso wenig wussten wer sie sind wie du selber, bist du auf dem Weg zurück zur dir und damit zur Erkenntnis deines wahren Selbst.

“Der Weise ist nicht gebildet –
und der Gebildete ist nicht weise”
Lao Tse

Dann fängst du an, alles Pseudowissen Schritt für Schritt aus dir herauszuwerfen.
Jede Sichtweise, jede Ansicht und jede Meinung, die du in dir vorfindest, nimmst du in die Hand und fragst dich, ob sie wirklich wahr ist.
Oder ob eine andere, gegenteilige Sichtweise, vielleicht genauso richtig sein könnte. Dann erkennst du, dass jede Position bereits ihre Gegenposition beinhaltet, die eine ohne die andere nicht denkbar ist.
Beide sind Teil der einen unteilbaren Existenz. Sie bedingen einander wie Tag und Nacht. Jede Haltung, jede Position die du einnimmst, ist absolut willkürlich, denn das Gegenteil ist ebenso in deinem Bewusstsein. Es ist auch Teil von dir. Es ist auch Du.
Du bist immer beide und das Gegenteil von beiden und weit mehr als das.

So wirst du ganz allmählich wieder unwissend, oder – präziser ausgedrückt – du erkennst ganz allmählich deine Unwissenheit und die Tatsache, dass du immer schon unwissend warst.
All dein Wissen ist nur eine Illusion, ein Traum.
Es sind nur Gedanken in deinem Kopf, ohne jeden Bezug zur Realität. Sinnloses mentales Geplapper ohne jede Bedeutung.

Und du erkennst, dass all die Menschen um dich herum genauso unwissend sind wie du – und es nicht einmal merken.
Sie wissen nicht einmal, dass sie unwissend sind.
Sie haben komplett vergessen, wer sie sind und haben sogar vergessen, dass sie es vergessen haben.
Sie träumen mit offenen Augen. Sie leben in ihrer eigenen Traumwelt ohne jeden Bezug zur Realität. Sie wissen nicht was sie tun.

“Herr vergib ihnen, denn sie wissen nicht was sie tun”
Jesus

Einige von ihnen taten so als wüssten sie, weil ihre gesellschaftliche Funktion dies von ihnen erwartet und weil es im Grunde alle tun.
Dennoch waren deine Lehrer, deine Eltern, deine Vorbilder, Helden und Stars, Freunde und Feinde genauso unwissend und orientierungslos wie du.
Alles was du von ihnen erhalten hast, deine Kultur und Tradition, deine Moral und Wertvorstellungen sind in letztendlicher Konsequenz wertlos.
Sie sind nur Ballast, der dich eingeengt, in deiner Wahrnehmung beschränkt und dich daran hindert, das zu sein was du wirklich bist und zu erkennen, was wirklich wahr ist.

Sobald diese Erkenntnis in dir herangereift ist, bist du raus aus der Gesellschaft, deiner Kultur und deiner Epoche.
Du gehörst nicht mehr dazu und stehst ganz und gar für dich alleine.
Du teilst ihr Weltbild nicht mehr und auch nicht ihren Glauben und ihre verdrehten Moralvorstellungen.
Dann beginnst du dich auch von dem Wissen lösen, dass du über dich selber zu haben glaubtest.
Deine Vergangenheit, deine gesamte Biografie ist nur ein willkürlicher Standpunkt, eine Betrachtung aus einer austauschbaren Perspektive heraus.
Du kannst es rückblickend auch ganz anders sehen, aus einem völlig anderen Blickwinkel betrachten. Und schon ist deine Biografie nicht mehr so solide, wie sie zu sein scheint. Wenn du den Mut hast auch alles Wissen über dich selber loszulassen, passiert etwas sehr sonderbares.

All die Verspannungen und Blockaden in deinen Körper, die nur Ausdruck deines, aus Missverständnissen gegründeten Kampfes, mit dir selber sind und dich in einem ständigen Konflikt mit deinem Körper gefangen hielten, lösen sich allmählich auf.
Du beginnst dich aus der Identifikation und damit aus der Verstrickung mit deinem Körper zu lösen.
Das Bewusstsein lässt die Schranken des Körpers hinter sich und wächst über hin hinaus.
Erst zaghaft und fast unmerklich, dann immer deutlicher, entfaltet es sich wie eine Blüte über deinen Körper hinaus.
In Indien haben sie diese Erfahrung als den tausendblättrigen Lotus beschrieben. Schicht für Schicht dehnt dein Bewusstsein sich in einen unbekannten Raum, in eine neue Dimension hinein aus.
Es fängt an, sich von der Identifikation mit deinem Körper zu lösen.
Du beginnst dich von außen zu betrachten.

Dieser Schritt ist so fundamental, dass er dein gesamtes Leben auf den Kopf stellt.
Danach ist nichts so wie vorher.

“Vor dem Erwachen sind die Berge die Berge, die Täler die Täler und die Flüsse die Flüsse.
Nach dem Erwachen sind die Berge nicht mehr die Berge, die Täler nicht mehr die Täler und die Flüsse nicht mehr die Flüsse.”
Zen-Weisheit

Bei einigen Computerspielen, den Ego-Shootern, bei denen man mit einer futuristischen Waffe in der Hand durch dunkle Katakomben irrt um außerirdische Monster zu erledigen, gibt es eine interessante Funktion.
Zuerst erlebt man das Spiel so, als säße man im Auto oder als ginge man selber durch die Katakomben. Du siehst diese animierte Welt quasi durch die Augen des Helden, der für dich selber aber unsichtbar bleibt. Nur wenn du die Waffen wechselst, erscheinen für einen kurzen Moment ein paar Hände und Arme auf dem Bildschirm, die nach der neuen Waffe greifen.
Mehr sieht man nicht von sich.
Doch wenn du eine bestimmte Taste auf der Tastatur drückst, F6 oder so, bist du plötzlich raus aus dieser Ich-Perspektive.
Mit einem Mal siehst du diesen muskelbepackten Helden, durch dessen Augen du gerade noch die apokalyptische Welt betrachtet hattest, bewaffnet vor dir durch die Katakomben rennen.

Etwas Ähnliches passiert auch im Erwachen.
Du bist nicht mehr identifiziert mit der Person, mit dem Körper, den du vor dir, in deinem Bewusstsein erscheinend, wahrnimmst.

In einem Computerspiel ist das nur ein nettes Gimmick.
Im echten Leben aber ändert dies alles.

Der Ego-Shooter Held unterscheidet sich in Wahrheit nicht von den Alien-Monstern und nicht einmal von den Katakomben, in denen er umherirrt. Sie sind alle Teil des gleichen Spiels, bestehen alle aus den gleichen Pixeln und sind letztendlich ein und dasselbe.
Im Erwachen erkennst du, dass dieser Körper, diese Person, die du  dein ganzes Leben lang als ich angesehen hast, sich in keiner Weise von allen anderen Körpern um dich herum unterscheidet.
Sie alle sind das gleiche wie die Person, die du für „ich“ gehalten hattest.
Du, die anderen und deine ganze Welt bestehen aus den gleichen Pixeln in dem gleichen Spiel. In Indien haben sie dieses Spiel schon vor Jahrtausenden “Maya” genannt.

Wir alle sind Teil des einen Seins.
Wir alle sind Wellen auf dem gleichen Ozean. Und so wie die Welle nicht vom Ozean getrennt existiert, sind wir nicht getrennt von der einen unteilbaren Existenz.
Wir sind nicht einmal Teil des Ozeans, denn der Ozean ist unteilbar. Nichts kann von ihm getrennt werden, er ist das ganze Sein, die gesamte Realität, er ist auf ewig und immer eins.
Die Welle ist der Ozean, sie ist Ausdruck des ozeanischen Seins.

Erwachen ist, wenn du erkennst, dass deine Biografie als getrennte Welle, die sich gegen andere Wellen behaupten und durchsetzen muss um ihre Existenz zu sichern, nur eine Illusion, ein Missverständnis war.
Erwachen ist, wenn du schlagartig erkennst, dass du immer schon Ozean gewesen bist.
Das Einzige, was dich von dieser Erkenntnis fernhält, ist das falsche Wissen, das dir eine zutiefst kranke und selbstentfremdete Kultur eingeimpft hat.
Dieses Wissen muss wieder entfernt werden, wir müssen zu der Klarheit unseres ursprünglichen Unwissens zurückfinden, die Welt wieder mit dem klaren Blick eines Neugeboren betrachten.
Schau einem Baby in die Augen und du verstehst was ich sage.
Genau das meint Jesus mit seiner Aussage
“Wenn ihr das Himmelreich finden wollt, müsst ihr wieder so unwissend werden wie die Kinder.”

Doch diese Erkenntnis kann weder gewonnen noch erreicht werden. Du kannst sie nicht als neues Wissen erlangen.
Du kannst sie nicht zu einem Objekt machen, das du greifen und besitzen und mit dem du dich schmücken kannst.
Das einzige was du tun kannst ist, dein Pseudo-Wissen loszulassen.
Doch dafür musst du erst einmal bereit sein zu erkennen, dass du in Wahrheit tief in dir absolut unwissend bist.

Dann hebt sich der Schleier und die Welt erstrahlt in ewig klarem Licht.

Manik, August 2018

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